Einleitung

Mehrere Abschnitte aus Hebräer 1 werden des öfteren von Anhängern der Trinitätslehre angeführt für die Richtigkeit ihrer Lehre. Neben den Aussagen in den Anfangsversen (vgl. meine Studie Hebräer 1,1-4), aus denen Jesus fälschlicherweise zum Schöpfer der Welt erklärt wird, müssen oft die Verse 8-10 herhalten als eindeutiger Beweis für die "Gottheit Jesu".

Wie ich bereits bzgl. verschiedener anderer Abschnitte aus der Schrift betonte, so muß auch hier beachtet werden, wovon der Abschnitt insgesamt gesehen handelt. Wir können nicht viele klare und eindeutige Aussagen bzgl. des Menschen Jesus von Nazareth als des Sohnes Gottes sozusagen "über den Haufen werfen", weil uns ein Ausdruck hier zunächst so erscheint, als könne womöglich hier Jesus als Gott bezeichnet werden. Die vielen klaren Verse müssen uns stattdessen als Basis dienen, und die hier vorliegenden "scheinbar schwierigen" oder "scheinbar widersprüchlichen" Aussagen müssen dennoch mit den vielen klaren Aussagen in Einklang stehen. Es kann nicht angehen, daß durch unser Verständnis eine Aussage im Wort Gottes einen Widerspruch zu einer anderen Aussage hervorruft; vielmehr wird unser Verständnis, wenn es denn korrekt ist und der Wahrheit entspricht, eine solche Aussage nicht widersprüchlich machen. In dem, was Gott offenbart hat bzw. was von ihm eingegeben ist, gibt es keine Widersprüche solcher Art ... etwaige Widersprüche liegen entweder in unserem Verständnis oder manchmal auch in der uns vorliegenden Übersetzung des Textes.

Auch im Falle dieser Verse in Hebräer 1,8-9 ist es möglich, diese Verse so zu verstehen, daß sie mit allen anderen Schriftstellen bzgl. des gleichen Themas in Einklang stehen und so die vollkommene inhaltliche Harmonie der Schrift zur Geltung kommt.

Hebräer 1,8-9

Zunächst müssen wir auch hier wieder die zu besprechende Schriftstelle genau lesen und uns möglichst von jeglicher Voreingenommenheit lösen.

Hebräer 1,8-9
aber von dem Sohn: »Gott, dein Thron währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches.
Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehaßt die Ungerechtigkeit; darum hat dich, o Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl wie keinen deinesgleichen.«

In diesem größeren Abschnitt aus Hebräer 1 - 2 geht es um den Vergleich des Sohnes, Jesus Christus, mit den Engeln, und der Schreiber des Briefes legt deutlich dar anhand einiger Zitate aus dem Alten Testament, daß der Sohn nicht ein Engelwesen war oder ist, sondern ein Mensch. Dies wird dann ganz besonders deutlich gemacht in den abschließenden Versen in Hebräer 2,14-16, wo diese Wahrheit ausführlich dargelegt wird.

Hebräer 2,14-16
Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel,
und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mußten.
Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an.

Diese Verse machen wiederum deutlich, daß Jesus nicht ein Engel war, sondern "Fleisch und Blut ... gleichermaßen angenommen" hat, also ein Mensch, ein menschliches Wesen ist. Auch wird deutlich, warum er Mensch war und nicht ein Engel ... sein Werk der Erlösung galt nicht Engeln, sondern Menschen, "den Kindern Abrahams". Genau diese Wahrheit wird dann im weiteren Verlauf des Hebräerbriefs noch weiter entwickelt, indem Jesu Amt als der von Gott erwählte und gesandte Hohepriester ausführlich dargelegt wird.

Was hat es dann mit den Worten in Hebräer 1,8-9 auf sich, wo der Sohn als "Gott" bezeichnet wird?

Wer ist mit "Gott" gemeint?

Die Schwierigkeit in diesen Versen ist im Gebrauch des Wortes "Gott" begründet. Eine genaue und aufmerksame Betrachtung der hier gemachten Aussage und ein Vergleich mit dem entsprechenden Abschnitt in Psalm 45, aus dem das hier gegebene Zitat in den Versen 8 - 9 stammt, gibt uns die Schlüssel zu einem rechten Verständnis.

Hebräer 1,8 erwähnt eine Aussage Gottes! Dies wird deutlich aus Vers 5, wo uns mitgeteilt wird, wer jeweils der "Sprecher" ist in den dann zitierten Aussagen der nachfolgenden Verse.

Hebräer 1,5
Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum: »Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein«?

Gott ist es, der dies gesagt hat! Gott redet bzgl. seines Sohnes! Auch in Vers 8 ist dies nicht anders, wenn es heißt:

Hebräer 1,8
aber von dem Sohn: »Gott, dein Thron währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches.

Gott benutzt also für seinen Sohn das Wort "Gott". Gleichzeitig aber spricht er von dem "Thron und Reich [der Herrschaft] des Sohnes, und dieser Thron und diese Herrschaft sind in der Schrift eindeutig verbunden mit der Person von König David. Jesus, als der Sohn Davids wird herrschen. Dies wurde bereits vom Engel Gabriel der Maria kundgetan, als er ihr die Empfängnis und Geburt Jesu ankündigte (vgl. Lukas 1,32 -- "Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben".) Der Begriff "Gott" [hebr. elohim] wird hier also auf den Nachfahren von König David, auf DEN Sohn Davids, bezogen, der auf Davids Thron herrschen wird. Dieser Sohn Davids aber ist nicht ein Gott, sondern ein Mensch

Diese Wahrheit ist bereits ersichtlich, wenn wir die ursprüngliche Schriftstelle in Psalm 45 betrachten, die hier in Hebräer zitiert wird.

Psalm 45,6-7
Gott, dein Thron bleibt immer und ewig; das Zepter deines Reichs ist ein gerechtes Zepter.
Du liebst Gerechtigkeit und hassest gottloses Treiben; darum hat dich der Herr, dein Gott, gesalbt mit Freudenöl wie keinen deinesgleichen.

Der Anfang des Psalm läßt erkennen, daß dieser Psalm an einen König gerichtet ist, also einen Menschen (vgl. Psalm 45,2 -- "Mein Herz dichtet ein feines Lied, einem König will ich es singen ... ") Hier im Alten Testament erkennen wir bereits, daß das Wort "Gott" an sich nicht immer und auch nicht ausschließlich mit Bezug auf den allerhöchsten Gott, auf den allmächtigen Gott, auf den Schöpfer der Himmel und der Erde, benutzt wurde. Das Wort "Gott" wurde auch benutzt mit Bezug auf Menschen, wie hier den König, der aus der Linie Davids kommen würde und schließlich in Herrlichkeit über Israel und alle Völker herrschen würde.

Wir erkennen also, daß Menschen, die von Gott erwählt oder von Gott bestimmt waren, bzw. die in einer Funktion sozusagen "an Gottes Statt" standen, ebenfalls dann als "Gott" bezeichnet wurden. Diese Bezeichnung machte sie selbstverständlich nicht zu Gott. Sie wurden dadurch nicht "Gott", sondern waren auch weiterhin "Mensch".

Auch Jesus selbst erwähnte in einer Auseinandersetzung mit den jüdischen religiösen Führern diese Wahrheit bzgl. der Verwendung des Wortes "Gott" für Menschen.

Johannes 10,34-36
Jesus antwortete ihnen: Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: »Ich habe gesagt: Ihr seid Götter«?
Wenn er die Götter nennt, zu denen das Wort Gottes geschah - und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden -,
wie sagt ihr dann zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst Gott -, weil ich sage: Ich bin Gottes Sohn?

Jesus nahm Bezug auf eine Stelle aus Psalm 82, wo ebenfalls Menschen ("die ..., zu denen das Wort Gottes geschah"!) in der von Gott eingegebenen Schrift als "Götter" (Gott) bezeichnet werden.

"O Gott, dein Gott ..."

Daß es sich bei dieser ersten Verwendung des Wortes "Gott" in Psalm 45,6 (bzw. dann entsprechend in Hebräer 1,8) um einen Menschen handeln muß, daß also der Sohn in der Tat ein Mensch ist, und nicht etwa der allmächtige Gott, wird sofort deutlich aus dem sich daran anschließenden Vers.

Psalm 45,7
Du liebst Gerechtigkeit und hassest gottloses Treiben; darum hat dich der Herr, dein Gott, gesalbt mit Freudenöl wie keinen deinesgleichen.

Hebräer 1,9
Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehaßt die Ungerechtigkeit; darum hat dich, o Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl wie keinen deinesgleichen.«

Diese Worte reden von der Erwählung und Einsetzung des Königs in sein Königtum, welches geschieht durch eine "Salbung". Diese Salbung geschieht durch "deinen Gott". Von dem im Vers zuvor als "Gott" bezeichneten König heißt es hier, daß er selbst einen Gott hat! Er wird von seinem Gott mit Freudenöl gesalbt! Die Salbung des Königs erfolgte durch Gott, den Allmächtigen.

Diese Aussage nun, bezogen in Hebräer 1 auf Gott und seinen Sohn, läßt keinen Zweifel daran, daß der Sohn nicht Gott sein kann, sondern Mensch sein muß. Es ist unmöglich, daß Gott sich selbst salben würde. Zudem kann Gott auch keinen Gott haben ... der Sohn Gottes aber hat einen Gott, und es ist dieser Gott ("dein Gott"), der ihn salbt.

Auch wird der Sohn durch den Ausdruck "wie keinen deinesgleichen" den anderen Königen gleichgesetzt, denn sie waren ebenfalls Menschen. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Sohn und seinesgleichen, denn ihr Thron blieb keineswegs "immer und ewig", und sie führten auch kein gerechtes Zepter, noch liebten sie unbedingt die Gerechtigkeit und haßten alles gottlose Treiben.

Zusammenfassung

Wir wissen aus vielen anderen Stellen, daß nur EINER wahrhaftig Gott ist. Gott ist einer, nicht mehrere und auch nicht viele. Andererseits wird aus diesen Stellen in Hebräer 1 unumstößlich klar, daß Gott und der Sohn nicht "einer" sind, sondern "zwei". Weiterhin lernen wir, daß der Sohn, obwohl als "Gott" bezeichnet, dennoch selbst nicht Gott sein kann, da er ja einen Gott über sich hat, nämlich den Vater, "dein Gott", der ihn mit Freudenöl gesalbt hat.

Die Lösung für diesen scheinbaren Widerspruch, der allerdings erst aufgrund trinitarischer Voreingenommenheit entsteht, ist letztlich einfach aus diesen Versen zu erkennen: Das Wort "Gott" wird in der Schrift nicht nur für den allmächtigen Gott, den Schöpfer der Himmel und der Erde, den Vater Jesu, benutzt, sondern Gott selbst verwendet es bzgl. Menschen, die an seiner Statt eingesetzt sind und handeln.

Ja, Jesus Christus, der verheißene Messias, der Mensch Christus Jesus, wird als "Gott" bezeichnet, aber so geschah es auch mit anderen, zu denen das Wort Gottes geschah (vgl. Jesu Worte in Johannes 10,34-36). Wurden diese Menschen dadurch zu Gott? Nein! Genausowenig macht die Verwendung des Wortes "Gott" als Bezeichnung für den Sohn Gottes diesen dann zu Gott.

 

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