Einleitung

Hebräer 1 ist ein weiterer Abschnitt im Neuen Testament, der oftmals als "Beweis" für die Richtigkeit der Trinitätslehre herangezogen wird. Insbesondere wird aus diesen Versen herausgelesen, dass Jesus der Schöpfer der Welt war, und man findet dann schnell Querverweise auf die Stelle in Kolosser 1,15ff, wo angeblich ebenfalls von Jesus als dem Schöpfer die Rede ist.

Allerdings beruhen solche Ideen wiederum auf einer von der Trinitätslehre beeinflussten Voreingenommenheit, sowohl von seiten der Leser als auch manchmal von seiten der Übersetzer des biblischen Textes.

Hebräer 1,1-4

Zunächst sollten wir die zu besprechende Schriftstelle genauestens lesen, und, soweit es uns möglich ist, sollten wir uns von jeglicher Voreingenommenheit lösen.

Hebräer 1,1-4
Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten,
hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat.
Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe
und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name.

Dieser Abschnitt teilt sich eigentlich in zwei bedeutendere Teile auf, in denen jeweils der Sohn Gottes im Vordergrund steht. Die gemachten Aussagen handeln von ihm und schildern uns bestimmte Wahrheiten der Person, des Lebens und Wirkens Jesu.

Gott hat geredet

Der erste Punkt von Bedeutung ist der, dass Gott sich dem Menschen mitgeteilt hat. Dies geschah zunächst "vorzeiten" und "vielfach und auf vielerlei Weise ... durch die Propheten". Danach dann, "in diesen letzten Tagen", redete Gott nun zu den Menschen "durch den Sohn" (durch Jesus Christus).

Die Wortwahl dieser Aussage weist darauf hin, dass in vielerlei Hinsicht Gottes Kommunikation eine Steigerung erfuhr, dass also Gottes Reden "durch den Sohn" nicht nur Gottes Reden "durch die Propheten" rein zeitlich ablöste, sondern dass dies auch eine Intensivierung der Art und Weise war, wie Gott sich den Menschen offenbarte und mitteilte. Allein die Tatsache, dass es sich im letzteren Falle um "den [seinen] Sohn " handelt, gibt seinem Reden ein anderes Gewicht als es zuvor hatte bei den "Propheten".

Wir erkennen hieraus, dass es also eine Zeitspanne gab, da Gott nicht durch seinen Sohn, sondern durch die Propheten zu den Vätern geredet hat - warum? Die plausible und einfachste Antwort ist, weil Jesus, der Sohn, noch nicht offenbart war, noch nicht als Person existierte.

1. Petrus 1,20
Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,

Hebräer 1,2 erwähnte "in diesen letzten Tagen", Petrus spricht von "am Ende der Zeiten" - beides Zeitangaben, die sich auf die Ankunft und Gegenwart des Herrn Jesus beziehen. Nachdem Jesus offenbart war, konnte Gott auch durch ihn reden. Zuvor war das einfach nicht möglich. Diese Angabe macht deutlich, dass Jesus nicht als Person bereits vor seiner Geburt existierte, es wird also eine "Präexistenz" im trinitarischen Sinne ausgeschlossen.

Weiterhin ist klar, dass Jesus und Gott nicht identisch sein können, da nämlich Gott "durch den Sohn" redete. Gott offenbarte sich Jesus, und dieser teilte dem Volk das mit, was Gott gesagt haben wollte. Dadurch wurde Jesus aber nicht selbst zu Gott, genauso wenig wie etwa die Propheten zuvor zu Gott geworden sind.

Jesus war übrigens "DER Prophet" - der Prophet, den Gott schon zu Mose Zeiten angekündigt hatte (vgl. 5. Mose 18,15: "Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen."; dies wird von Petrus auf Jesus bezogen in Apostelgeschichte 3,22ff). Jesus war aber eben nicht nur Prophet, sondern der Sohn Gottes.

Sohn ist eingesetzt zum Erben über alles

Eine bemerkenswerte Wahrheit schließt sich dann in Vers 2 an: Gott hat seinen Sohn Jesus zum Erben eingesetzt über alles. Auch dieser Punkt schließt sofort aus, dass Jesus Gott sein kann, denn er ist hier nicht Gott, sondern der von Gott selbst eingesetzte Erbe über alles. Der Sohn erbt von Gott, er ist nicht Gott. Vererber und Erbe sind nicht identisch! Gott hat sich nicht selbst beerbt!

Der Sohn ist der Erbe über alles ... die gesamte Schöpfung wurde geschaffen mit dem Sohn Gottes im Blick, denn er sollte der Erbe über alles sein. Dieses "alles" wird dann im nachfolgenden Ausdruck noch ein wenig genauer definiert.

Durch den er die Welt gemacht hat

Der nächste Ausdruck wird von Trinitariern sogleich aufgenommen, um zu behaupten, Jesus sei schon von vor aller Zeit her existent gewesen, weil er, wie es hier berichtet wird, die Welt gemacht habe. Nur, wird das hier berichtet?

Dieser Eindruck von Jesus als dem Schöpfergott entsteht aufgrund der Wörter "durch" und dann "Welt gemacht". Viele verbinden diese Aussage dann mit einigen Versen in Kolosser 1 (vgl. die ausführliche Abhandlung über Kolosser 1,15-18) und behaupten, hier werde eindeutig von Jesus als dem Schöpfer der Welt gesprochen. Dem ist aber dennoch nicht so.

Das Wort "durch" ist eine Übersetzung des griechischen Wortes dia, und diese Präposition kann eine ganze Reihe unterschiedlicher Bedeutungen haben, wenn darauf ein Wort im Genitiv folgt. Die Grundbedeutung ist "durch - hindurch", und es kann örtlich, zeitlich oder auch im übertragenen Sinne gebraucht werden, u.a. kann dadurch Ursache, Urheber, Veranlassung, Vermittler, Mittel, Werkzeug angezeigt werden (vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, 6. Aufl., de Gruyter, 1988).

Der direkte Zusammenhang hier lässt viel eher die Bedeutung zu, dass der Sohn die Ursache, die Veranlassung, dafür war, dass und wie die Welt gemacht wurde, als dass Jesus das "Werkzeug" oder gar der "Werkmeister" gewesen wäre, von dem die Welt gemacht wurde. Die Aussage selbst sagt ja nicht aus, dass der Sohn die Welt gemacht habe, sondern besteht eindeutig darauf, dass Gott die Welt gemacht habe "durch [für] den Sohn". Immerhin wird ja gerade davor der Sohn als Erbe über alles bezeichnet! Alles ist "für ihn" gemacht.

Ein Blick auf das Wort "Welt" ist notwendig, denn diese Übersetzung ist in mancher Hinsicht vielleicht nicht ganz glücklich. Das griechische Wort hier ist αἰών (aiōn), es bedeutet eigentlich "Zeiten, Zeitalter". Das griechische Wort für "Welt" im eigentlichen Sinne ist das Wort kosmos. Man sieht, wie durch diese Übersetzung "Welt" für αἰών (aiōn) die trinitarische Lehre von Jesus als Gott und Schöpfer propagiert werden soll, obwohl diese Textstelle dies eigentlich in keiner Weise hergibt.

Die Zeiten, die Zeitalter des Alten und des Neuen Testaments wurden im Hinblick auf den Erben aller Dinge von Gott geplant und ausgeführt. Im Alten Testament ist vieles prophetisch vorausschauend gemacht, im Neuen Testament nun als verkündet und erfüllt. So steht nun dieser Ausdruck in Einklang mit dem in Vers 1 Gesagten: Vorzeiten hatte Gott durch die Propheten geredet (von den Zeiten, die er gemacht hatte im Blick auf und veranlaßt durch den Erben), nun aber in dieser letzten "Zeit" redete er durch den Sohn selbst - den Erben und Dreh- und Angelpunkt aller Zeiten.

Der Abglanz seiner Herrlichkeit

Als nächstes folgen hier in Hebräer 1,3 zwei Ausdrücke, die ebenfalls von Trinitariern benutzt werden, um Jesus als Gott darzustellen. Allerdings erkennt man sofort, wenn man die benutzten Wörter und Begriffe für sich allein liest und in ihrem ganz normalen Sprachgebrauch versteht, dass hier keineswegs Jesus als Gott bezeichnet wird.

Der Sohn wird als "Abglanz seiner [Gottes] Herrlichkeit" bezeichnet. Das Wort für "Abglanz" ist das griechische Wort ἀπαύγασμα (apaugasma), und bedeutet "Ausstrahlung (aktiv)" bzw. "Abglanz, Reflektion (passiv)" (vgl. Bauer, Wörterbuch). Die Übersetzung mit "Abglanz" ist korrekt, denn uns wird ja mitgeteilt, was sozusagen die "aktive Lichtquelle" ist, von welcher der Sohn dann der Abglanz ist: Gottes Herrlichkeit "spiegelt" sich in Jesus und diese Herrlichkeit wird in ihm "reflektiert" und als Abglanz wahrgenommen.

Wer Jesus sieht, der "sieht" Gott, den Vater (vgl. Johannes 14,9) ... allerdings nicht, weil zwischen beiden eine mystische Verbindung besteht und sie beide irgendwie und auf geheimnisvolle Weise zusammen mit dem Heiligen Geist eine einzige Gottheit sind. Nein. Man sieht den Vater nicht direkt, Jesus ist nicht selbst dieser Gott, vielmehr kann man in ihm den Abglanz von Gottes Herrlichkeit wahrnehmen und so Gott erkennen.

Dieser Ausdruck geht einher mit den Stellen, die von Jesus als dem Bild bzw. dem "Ebenbild Gottes" sprechen (vgl. "das Ebenbild Gottes" in 2. Korinther 4,4; und "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes" in Kolosser 1,15).

Das Ebenbild seines Wesens

Direkt in Verbindung mit dem "Abglanz seiner Herrlichkeit" folgt dann sofort "das Ebenbild seines [Gottes] Wesens". Beide Ausdrücke stehen miteinander in Verbindung und in vielerlei Hinsicht drücken sie die gleiche eine Wahrheit aus. Das Wort für "Ebenbild" hier ist das griechische Wort χαρακτήρ (charaktēr) und es bedeutet "Prägung, Abbild, Abdruck, Eigenart" (vgl. Bauer, Wörterbuch). Das Wort für "Wesen" ist im griechischen Text ὑπόστασις (hypostasis), es bedeutet "Wesen, Wirklichkeit, Zustand" (vgl. Bauer. Wörterbuch).

In Jesus zeigte sich durch seine Worte und seine Werke das Wesen, die Wirklichkeit Gottes. Gott ist Geist (vgl. Johannes 4,24) und kein Mensch kann ihn sehen, mit den Augen wahrnehmen oder erkennen (vgl. Johannes 1,18; 1. Timotheus 6,16). Jesus war in dieser Hinsicht der äußerliche Abdruck, das wahrnehmbare Prägebild der eigentlich unsichtbaren Wirklichkeit und des unsichtbaren Wesens Gottes.

Wir sprechen manchmal davon, dass jemand seine Spur hinterlassen habe; oder davon, dass eine Tat jemandes "Handschrift" trage ... der jeweilige "jemand" ist nicht anwesend und auch nicht mehr zu sehen, was zu sehen bzw. wahrzunehmen ist, ist der (typische) Abdruck, aus dem sich sein Wesen "herauslesen" läßt. Bei Jesus, dem Sohn Gottes, geht dieser Vergleich noch einen Schritt weiter: Da er nichts aus sich selbst tat, sondern in allem den Willen eines anderen, den Willen seines Vaters, den Willen Gottes, erfüllte, sehen wir bei ihm nicht "sein Ebenbild", sondern das Ebenbild von Gottes Wesen.

Er trägt alle Dinge mit seinem Wort

Der nächste Ausdruck, er "trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort" weist darauf hin, wie Jesus mittels Gottes Wort wirkt und alle Dinge vollenden und erreichen konnte, die sein Vater für ihn vorgesehen und bestimmt hatte. Jesus verließ sich absolut und in allen Belangen auf seines Vater Wort. Wenn er sprach, so war sein Wort nichts anderes als des Vaters Wort, Gottes Wort, schärfer und mächtiger als jedes zweischneidige Schwert (vgl. Heb 4,12)

In Johannes 17 erwähnt Jesus diese Wahrheit in seinem Gebet zu Gott, seinem Vater.

Johannes 17,14.17
Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt; denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.
Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.

Gottes Wahrheit war Jesu "kräftiges Wort", mit dem er alle Dinge trug.

Gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe

Dieser kurze Abschnitt in Hebräer 1 schließt dann mit dem Hinweis auf Jesu Himmelfahrt und daß er sich nach Vollendung seines Werkes zur Rechten Gottes "gesetzt hat".

Auch diese Angaben machen deutlich, dass Jesus keineswegs Gott sein kann, denn dann hätte er sich ja "zu seiner eigenen Rechten" gesetzt, was absurd ist. Jesus wird deutlich von Gott, seinem Vater unterschieden. Stephanus sah kurz vor seinem Tode in einer Vision Jesus zur Rechten Gottes (vgl. Apostelgeschichte 7,55.56); Paulus schreibt, dass Jesus zur Rechen Gottes ist (vgl. Römer 8,34; Epheser 1,20; Kolosser 3,1), und auch Petrus erwähnt, dass Jesus nun zur Rechten Gottes sitzt (vgl. 1. Petrus 3,22).

Wenn nun hier in Hebräer 1,4 der Begriff "der Majestät in der Höhe" benutzt wird, so wird im Zusammenhang der anderen Stellen über Jesu Himmelfahrt und seinen "Aufenthaltsort" zur Rechten Gottes klar, dass hier "die Majestät in der Höhe" kein anderer als Gott selbst ist. Jesus hat sich zur Rechten Gottes gesetzt. Ein klares Indiz dafür, dass er selbst nicht der allmächtige Gott, nicht die Majestät in der Höhe, ist.

Zusammenfassung

Ein sorgfältiger und unvoreingenommener Blick auf diese Stelle in Hebräer 1,1-4 zeigt schnell auf, dass diese Verse in keiner Weise davon reden oder etwa gar bezeugen, dass Jesus Gott ist. Auch wird in keiner Weise das Bild eines trinitarischen Gottes, einer aus drei Personen bestehenden Gottheit vermittelt.

Jesus ist der eingeborene Sohn Gottes, durch den Gott in diesen letzten Tagen geredet hat, und der durch seine Worte und Werke der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und das Abbild von Gottes Wesen ist.

 

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