Wenn Trinitarier Jesu Gottheit belegen wollen, kommen sie hin und wieder darauf zu sprechen, dass Jesus ja "alle Menschen kannte" und - wie Sie meinen - somit eine umfassende Kenntnis aller Menschen hatte, wie sie nur Gott haben kann. Als Beweis wird dann eine Aussage des Evangelisten Johannes zitiert, die uns in Joh 2 berichtet ist.

Joh 2,24
Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht an; denn er kannte sie alle

Bevor wir uns in diese Aussage hier weiter vertiefen, wollen wir zunächst eine wichtige Wahrheit nicht aus den Augen verlieren, die uns an mehrern Stellen angezeigt wird, und diese Wahrheit ist: Jesus war nicht allwissend ! Dies geht u.a. aus den folgenden Schriftstellen eindeutig hervor.

Lk 2,52
Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Mt 24,36
Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

Wenn Jesus an Weisheit zugenommen hat, dann war er nicht allwissend bzw "all-weise". Weiterhin lesen wir, dass Jesus bestimmte Dinge nicht wußte, die aber Gott (Jesu Vater) sehr wohl bekannt waren. Wäre Jesus Gott gewesen, hätte er diese ebenfalls wissen müssen und seine eigenen Worte aus Mt 24,36 wären dann eigentlich eine Lüge (vgl. hierzu auch die Studie Ist Jesus allwissend?).

Für ein rechtes Verständnis der Aussage in Joh 2,24 ist es notwendig, das Wort "alle" korrekt zu verstehen. Wenn wir von "alle" in der Schrift lesen, müssen wir unbedingt darauf achten, dass das Wort "alle" nicht immer nur auf eine Art und Weise benutzt wurde und nicht immer "alle" in einem all-umfassenden und ohne Ausnahme Sinn gebraucht wird. Das Wort "alle" kann sich je nach Kontext auch in einem engeren Sinn auf bestimmte Dinge und Personen innerhalb einer bestimmten Kategorie beziehen. Das Wort "alle" kann auch nur für den größeren Teil eines Ganzen stehen, wobei dennoch nicht alle ohne Ausnahme betroffen sein müssen.

Trinitarier gehen nun in obigem Vers davon aus, dass Jesus "sie alle" in einem umfassenden Sinne kannte, d.h. alles ohne Ausnahme über alle wußte, und für sie ist das dann ein weiterer Beweis dafür, dass Jesus Gott sein muß, denn wie könnte er sonst "alle kennen". Dabei verlassen sie eigentlich eine andere Linie, mit der sie ansonsten versuchen, die Verse zu erläutern, die darauf hinweisen, dass Jesus eben nicht alles wußte (s.obige Beispiele). Zu den Aussagen bringen sie das Argument, Jesus habe "als Mensch", d.h. während seines irdischen Lebens, keine Allwissenheit gehabt, sondern diese habe er nur "als Gott". ABER ... hier lesen wir doch über eine Sache, die sich ereignete, während er Mensch war (wenn wir einmal die trinitarischen Vorstellungen kurz "adoptieren") ... wie ist es denn nun: War Jesus hier nun Mensch (lebte er hier auf Erden in Menschengestalt)? Oder war Jesus hier Gott ? Ich würde sagen, man kann nicht einfach nach Belieben eine Sache einmal so und ein anderes Mal anders angehen.

Es scheint daher offensichtlich, dass sich hier das Wort "alle" nicht auf "alle ohne Ausnahme" bzw. "alles ohne Ausnahme" bezieht, sondern hier in einem auf bestimmte Informationen und bestimmte Gruppe von Leuten bezogenen Sinn gebraucht wird.

Jetzt stellt sich dann noch die Frage, wie Jesus bestimmte Dinge bzgl. dieser Personen wissen konnte, obwohl diese Informationen möglicherweise noch nicht allgemein bekannt waren oder erwähnt worden waren. Auch hierauf gibt uns die Schrift eine Antwort. An anderer Stelle verkündet Jesus, auf welche Weise er in der Lage ist, gerecht zu urteilen, auch wenn dabei Dinge beteiligt sind, die ihm durch die Situation oder Menschen bislang nicht bekannt geworden sind.

Joh 5,30
Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist gerecht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

Jesus erklärt, dass er nichts von sich aus tut, dass er nicht aus sich heraus urteilt, dass er nicht seinen eigenen Willen sucht. Er sucht stattdessen den Willen dessen, der ihn gesandt hatte, und dieser war und ist der allmächtige Gott, Jesu Vater. Und von diesem "hört" er und empfängt er die Informationen, die ihm dann ermöglichen, in einer Situation gerecht zu urteilen.

Jesus selbst hat diese Erkenntnis nicht aus sich selbst, sondern erhielt sie durch Offenbarung von seinem Vater ... ähnlich wie auch die Propheten im AT von Gott Offenbarung und Erkenntnis erhielten, mittels der sie Dinge erkannten, die ein Mensch aus sich heraus nicht wissen kann.

Joh 2,24
Aber Jesus vertraute sich ihnen nicht an; denn er kannte sie alle

Die Aussage des Evangelisten, dass Jesus "sie alle kannte", ohne dass er sich hätte ihnen weiter anvertrauen müssen, betont für die Leser, dass Jesus mit dem, der ihn gesandt hatte, d.h. mit Gott, seinem Vater, in Kontakt stand und Gott ihm die notwendige Erkenntnis vermittelte, um in jeder Situation das rechte zu tun.

 

Übersicht Artikel