Vorwort

Nun folgt ein weiteres Zeichen, das Johannes (und die Leser) hinführt zu der Ausgießung des Zornes Gottes aus den "Schalen des Zorns" über das judaistische Priestertum. Das Geschehen erscheint als Nachspiel zum Ende des Kriegs Roms gegen den jüdischen Aufstand.

Das Lied des Lammes

Offenbarung 15,1-4
Und ich sah ein andres Zeichen im Himmel, das war groß und wunderbar: sieben Engel, die hatten die letzten sieben Plagen; denn mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes.
2 Und ich sah, wie sich ein gläsernes Meer mit Feuer vermengte, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen
3 und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
4 Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden.

Hier sind die im Krieg getöteten gläubigen Jünger Jesu (Märtyrer) an dem gläsernen Meer versammelt, das jetzt mit Feuer gefüllt ist. Sie singen das Lied des Mose, da es an jenes ursprünglich nach dem Auszug aus Ägypten gesungene Lied erinnert (vgl. 2Mo 15). Hier feiern diese Gläubigen die Befreiung von ihren judaistischen Führen und dem Krieg gegen Rom. Dieses Lied ist gleichermaßen das Lied des Lammes, da der Inhalt ebenso auf das Werk des Messias Jesus zutrifft.

Offenbarung 15,5-8
5 Danach sah ich: Es wurde aufgetan der Tempel, die Stiftshütte im Himmel,
6 und aus dem Tempel kamen die sieben Engel, die die sieben Plagen hatten, angetan mit reinem, hellem Leinen und gegürtet um die Brust mit goldenen Gürteln.
7 Und eines der vier Wesen gab den sieben Engeln sieben goldene Schalen voll vom Zorn Gottes, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.
8 Und der Tempel wurde voll Rauch von der Herrlichkeit Gottes und von seiner Kraft; und niemand konnte in den Tempel gehen, bis die sieben Plagen der sieben Engel vollendet waren.

Nun wird der Blick frei auf das Heiligtum im Himmel, den Ort, wo symbolisch Gott "wohnt" (vgl. 2Mo 40, der Bereich in der Stiftshütte mit der Bundeslade). Aus dem Tempel kommen sieben Boten, die die mit Gottes Zorn gefüllten goldenen Schalen in Empfang nehmen. Somit kommt der Zorn durch die sieben Boten direkt von Gott selbst.

So wie zuvor niemand das Gericht über Jerusalem und das abtrünnige jüdische Volk abwenden konnte, so würde nun auch niemand das Gericht über Tempel und Priesterschaft abwenden oder verhindern können. In der Tat wurde es mit der Zerstörung des Tempels und dort geführter Abstammungsurkunden unmöglich, seine Abstammung aus einer bestimmten Linie, etwa zurück zu Aaron und Levi, nachzuweisen. Damit hat das AT Priestertum endgültig sein Ende gefunden.

Die ersten vier Schalen

Offenbarung 16,1-9
1 Und ich hörte eine große Stimme aus dem Tempel, die sprach zu den sieben Engeln: Geht hin und gießt aus die sieben Schalen des Zornes Gottes auf die Erde!
2 Und der erste ging hin und goss seine Schale aus auf die Erde; und es entstand ein böses und schlimmes Geschwür an den Menschen, die das Zeichen des Tieres hatten und die sein Bild anbeteten.
3 Und der zweite goss aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu Blut wie von einem Toten, und alle lebendigen Wesen im Meer starben.
4 Und der dritte goss aus seine Schale in die Wasserströme und in die Wasserquellen; und es wurde Blut.
5 Und ich hörte den Engel der Wasser sagen: Gerecht bist du, der du bist und der du warst, du Heiliger, dass du dieses Urteil gesprochen hast;
6 denn sie haben das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben; sie sind’s wert.
7 Und ich hörte den Altar sagen: Ja, Herr, allmächtiger Gott, deine Gerichte sind wahrhaftig und gerecht.
8 Und der vierte Engel goss aus seine Schale über die Sonne; und es wurde ihr Macht gegeben, die Menschen zu versengen mit Feuer.
9 Und die Menschen wurden versengt von der großen Hitze und lästerten den Namen Gottes, der Macht hat über diese Plagen, und taten nicht Buße, ihm die Ehre zu geben.

Diese Schalen erinnern an die bronzenen Schalen, die von den Priestern bei ihrem Opferdienst verwendet wurden (vgl. 2Mo 27,3). Außerdem gibt es auch hier wieder vergleichende Andeutungen auf die Plagen über Ägypten, wie es zuvor schon bei den sieben Posaunen der Fall war. Auch hier muss man darauf achten, die Sprache in ihrem Kontext zu belassen ("Erde" bezeichnet eben nicht den Planeten Erde im heutigen Sinne, sondern das Land, speziell das jüdische Land).

Wieder gibt es eine Gruppierung in 4+3, wobei die ersten vier Schalen den umfassenden und allgemeinen Charakter dieses Gerichts symbolisieren. Das Gericht kommt über die abtrünnigen Juden (vgl. Vers 2). So wie damals die Plagen über das Land Ägypten kamen, so nun über das Land Judäa. Diejenigen, die den götzendienerischen religiösen Wegen der Priester folgten, fanden sich im Gericht wieder. Gottes Gerichtsurteil ist gerecht (vgl. Verse 5.7). In all dem Horror wenden sich diese nicht zur Buße und hin zu Jesu Lehre, sondern lästerten und verhärteten ihre Herzen. Schließlich gehen sie wie die Pracht des Tempels im Feuer von Gottes Gericht unter.

Die letzten drei Schalen

Offenbarung 16,10-11
10 Und der fünfte Engel goss aus seine Schale auf den Thron des Tieres; und sein Reich wurde verfinstert, und die Menschen zerbissen ihre Zungen vor Schmerzen
11 und lästerten Gott im Himmel wegen ihrer Schmerzen und wegen ihrer Geschwüre und taten nicht Buße für ihre Werke.

Der "Thron des Tieres" ist "Babylon", "das abtrünnige Jerusalem", hier geschildert als "verfinstert", da kein Tempel mit Gottes Gegenwart ihm Licht gab (vgl. 2Mo 10,21ff - Finsternis Plage). Ihre "Finsternis" war gleich scharfer Schmerzen, und symbolisierte eventuell ihre fortwährende Weigerung zur Umkehr.

Offenbarung 16,11-16
12 Und der sechste goss aus seine Schale auf den großen Strom Euphrat; und sein Wasser trocknete aus, damit der Weg bereitet würde den Königen vom Aufgang der Sonne.
13 Und ich sah aus dem Rachen des Drachen und aus dem Rachen des Tieres und aus dem Munde des falschen Propheten drei unreine Geister kommen, gleich Fröschen;
14 es sind Geister von Dämonen, die tun Zeichen und gehen aus zu den Königen der ganzen Welt, sie zu versammeln zum Kampf am großen Tag Gottes, des Allmächtigen. –
15 Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig ist, der da wacht und seine Kleider bewahrt, damit er nicht nackt gehe und man seine Blöße sehe. –
16 Und er versammelte sie an einen Ort, der heißt auf Hebräisch Harmagedon.

Der Hinweis auf den ausgetrockneten Euphrat erinnert daran, wie Cyrus der Große das damalige Babylonische Reich eroberte, als er den Fluss umleitete, um in die Stadt Babylon eindringen zu können. So wurde eine starke Verteidigung Babylons plötzlich zum Schlüssel für seinen Untergang. Dies wurde als ein Eingreifen, eine Intervention Gottes betrachtet.

Hier nun gibt es eine Art Parallele. Über Jerusalem berichtet Josephus (vgl. Jüdischer Krieg,V:1:4), dass die Stadt über einen großen Getreidespeicher verfügte, der langen Widerstand gegen Rom ermöglicht hätte. Aus religiösem Fanatismus zerstörten jüdische Führer diesen Vorrat, was in der Folge zu Hungersnot führte, die den Römern schneller ermöglichte, die Stadt einzunehmen.

Das Bild der Geister gleich Fröschen erinnert ebenfalls an eine Plage in Ägypten (2Mo 7,25ff). Es wird hingedeutet darauf, wie die jüdischen Führer (Drache), die politischen Führer (Tier) und der falsche Prophet (abtrünnig gewordene jüdische Christen) Hilfe suchen bei unreinen "Geistern", Krieg zu führen gegen die christlichen Gläubigen mittels Gesetzen, Verordnungen, rabbinischen Geboten, usw. Dieser "Krieg" ist der bereits zuvor (Kapitel 6) kurz erwähnte Konflikt des jüdischen Aufstandes.

Bemerkenswert hier ist der kurze Einschub mit Jesu Erinnerung daran, dass sich diese Dinge überraschend und von vielen unerwartet bald ereignen würden und man deshalb wachsam sein musste (Vers 15).

Die Erwähnung von "Harmagedon" ist ein Hinweis auf die kommende Katastrophe für abtrünnige Judenchristen, die judaistische Priesterschaft und die anderen jüdischen Führer. Der Ort bezeichnet den Ort der verlorenen Schlacht von König Josia (2Kö 23,29ff) und wurde symbolisch benutzt als der Ort vernichtender Niederlage.

Offenbarung 16,17-21
17 Und der siebente Engel goss aus seine Schale in die Luft; und es kam eine große Stimme aus dem Tempel vom Thron, die sprach: Es ist geschehen!
18 Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner, und es geschah ein großes Erdbeben, wie es noch nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden sind – ein solches Erdbeben, so groß.
19 Und aus der großen Stadt wurden drei Teile, und die Städte der Völker stürzten ein. Und Babylon, der Großen, wurde gedacht vor Gott, dass ihr gegeben werde der Kelch mit dem Wein seines grimmigen Zorns.
20 Und alle Inseln verschwanden, und die Berge wurden nicht mehr gefunden.
21 Und ein großer Hagel wie Zentnergewichte fiel vom Himmel auf die Menschen; und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des Hagels; denn diese Plage ist sehr groß.

Hier folgt noch die Schale, welche "in die Luft" ausgegossen wird, womit wohl "die Luft" als Bereich und Ort wirkender böser Geister usw. gemeint ist, worauf u.a. Paulus Bezug nimmt mit der Erwähnung des "Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams" (Eph 2,2). Das Ausgießen dieser Schale symbolisierte das Ende dieser bösen geistlichen Einflüsse. Sobald das geschehen ist, ist das Gericht vollendet.

Anschließend folgt noch mehr über das Gericht über Jerusalem, wobei weitere Details auch noch in nachfolgenden Visionen (Kapitel 17, 18) ausgeführt werden. In der Erwähnung von "Hagel wie Zentnergewichte" sehen manche einen Hinweis auf die bei der Belagerung Jerusalems von den Römern eingesetzten Katapulte.

Insgesamt sieht man schon hier, wie die Sprache sehr drastische, intensive und starke Züge annimmt, und es wird deutlich, dass niemand dem Gericht und Gottes Zorn entrinnen wird.

 

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