Einleitung

In einer Erörterung dessen, was uns die Schrift bzgl. der Person Jesus Christus berichtet, wird von Vertretern der Trinitätslehre sehr oft eine Stelle aus Johannes 8 angeführt, die beweisen soll, dass Jesus Gott ist. Im Wesentlichen stützt sich das vorgebrachte Argument dann auf eine Aussage Jesu, in der er angeblich (a) Gottes Namen für sich selbst benutzte, und (b) behauptete, bereits vor Abraham gelebt zu haben.

Beides sind Annahmen und Behauptungen, die in krassem Gegensatz zu vielen anderen Schriftstellen stehen, aus denen hervorgeht, dass Jesus Christus vor seiner Geburt nicht als Person oder ein lebendiges Wesen existierte. Auch steht ein solches Verständnis in krassem Gegensatz zu den vielen Stellen, in denen Jesus einen klaren Unterschied zwischen sich und Gott, seinem Vater, machte und niemals beanspruchte, der allmächtige Gott zu sein.

Johannes 8,58
Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich.

Was hat es nun mit diesem Ausspruch auf sich? Wie ist er korrekt zu verstehen, ohne dass sich scheinbare Widersprüche zu anderen Schriftstellen ergeben, wie etwa zu der Aussage, dass Christus doch der Nachkomme Abrahams sei (vgl. Galater 3,16Gal 3,16
Nun ist die Verheißung Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: und den Nachkommen, als gälte es vielen, sondern es gilt einem: »und deinem Nachkommen«, welcher ist Christus.
)?

Worum geht es eigentlich hier?

Der erste und ein sehr wichtiger Schritt, um diese Aussage Jesu korrekt zu verstehen, ist der, den Kontext genau zu lesen, in welchem diese Worte stehen. Nur dann werden wir in der Lage sein, Jesu Worte richtig einzuordnen und schließlich zu verstehen, was er gemeint hat.

Die Worte aus Vers 58 sind Teil einer längeren Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden, bei denen es vor allem um Jesu Anspruch ging, von Gott gesandt zu sein, Gott als seinen Vater zu haben und somit der verheißene Messias zu sein. Der Kontext handelt davon, dass Jesus von sich sagt, er habe Gott zum Vater und er sei daher Gottes Sohn. In keiner Phase dieser Unterhaltung geht es darum, dass Jesus etwa behauptet habe, er selbst sei der allmächtige Gott.

Im Verlauf der Unterredung sprechen die Juden davon, dass sie Abrahams Kinder seien.

Johannes 8,33.37
33 Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?

37 Ich weiß wohl, dass ihr Abrahams Kinder seid; aber ihr sucht mich zu töten, denn mein Wort findet bei euch keinen Raum.

Die Juden reden von ihrer natürlichen Abstammung, und Jesus erkennt diese auch an, obwohl er im Verlauf des Gesprächs auf noch ganz andere Dinge mit Bezug auf Abraham zu sprechen kommt.

Johannes 8,39-40
39 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Abraham ist unser Vater. Spricht Jesus zu ihnen: Wenn ihr Abrahams Kinder wärt, so tätet ihr Abrahams Werke.
40 Nun aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit gesagt hat, wie ich sie von Gott gehört habe. Das hat Abraham nicht getan.

Hier nun greift Jesus ihren Anspruch, Abrahams Kinder zu sein, in einer anderen Hinsicht auf und macht unmissverständlich klar, dass diese Juden, obwohl von ihrer natürlichen Abstammung her Abrahams Kinder, dennoch in anderer Hinsicht keineswegs Abrahams Kinder waren.

Bemerkenswert für unsere Studie ist hier auch, dass Jesus in Vers 40 von sich selbst als einem "Menschen" spricht, also auch hier nicht etwa behauptet, er sei der allmächtige Gott. Im gleichen Satz weist er gar auf einen deutlichen Unterschied zwischen sich und Gott hin, indem er erläutert, dass die von ihm verkündete Wahrheit nicht von ihm stammt, sondern er sie "von Gott gehört" hat.

Jesus nimmt Bezug auf Abrahams Werke, und diese Werke waren in besonderer Weise verbunden mit der Verheißung Gottes an ihn, dass er und seine Frau Sara einen Sohn haben würden, aus dem schließlich der Messias, "der Sohn Abrahams" hervorgehen würde.

Im Laufe der weiteren Entwicklung dieses Gesprächs, bestätigt Jesus weiter, dass er der von Gott gekommene Messias, der eingeborene Sohn Gottes, ist. In Vers 51 nimmt er Bezug darauf, dass die an ihn glauben, ewiges Leben haben und daher den Tod nicht sehen werden in Ewigkeit.

Johannes 8,51-53
51 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit.
52 Da sprachen die Juden zu ihm: Nun erkennen wir, dass du einen bösen Geist hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sprichst: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken in Ewigkeit.
53 Bist du mehr als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst?

Diese Worte veranlassen die Juden nun dazu, erneut auf Abraham zu sprechen zu kommen. Abraham hatte doch Gottes Wahrheit geglaubt, und er war dennoch gestorben, und nun sollte Jesus gar mächtigere Worte und eine Wahrheit haben, die bewirken soll, dass daran Glaubende nicht mehr sterben? Die Juden stellen hier eine Schlüsselfrage für unser Verständnis der späteren Aussage Jesu: "Bist du mehr als unser Vater Abraham, der gestorben ist?"

Hier wird der wichtige Gedanke eingebracht, um den sich hinterher Jesu Antwort dreht: "Bist du MEHR ALS ABRAHAM …?" Die Juden nahmen Jesu bisherigen Worte zum Anlass, einen Vergleich zu ziehen zwischen Jesus und ihrem Vater Abraham. Sie vergleichen Jesus und Abraham miteinander, und sie gehen selbstverständlich davon aus, dass Abraham "mehr ist" als Jesus und schließen dann logischerweise, da der große Vater Abraham ja gestorben ist, dass Jesus natürlich nicht mehr sein kann als Abraham! Daher ihre verurteilende Frage: "Was machst du aus dir selbst?

Nun gilt es, sehr genau und sorgfältig weiter zu lesen, um Jesu weitere Antworten und die Worte der Juden in die weiteren Überlegungen bzgl. des rechten Verständnisses dieser Stelle korrekt einzuordnen.

Johannes 8,54-55
54 Jesus antwortete: Wenn ich mich selber ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott;
55 und ihr kennt ihn nicht; ich aber kenne ihn. Und wenn ich sagen wollte: Ich kenne ihn nicht, so würde ich ein Lügner, wie ihr seid. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort.

Zuerst greift Jesus das eigentliche Thema in klaren und eindeutigen Worten auf und verkündet in unmissverständlichen Worten, dass Gott sein Vater ist. Den Gott, von dem die Juden behaupteten, er sei ihr Gott, den bezeichnet Jesus als seinen Vater! Und sehr sorgsam weist Jesus darauf hin, dass diese Aussage keine eigene Anmaßung seinerseits ist, sondern vielmehr darin schon bestätigt wird, dass Gott ihn ehrt und somit quasi Zeugnis ablegt und bestätigt, dass er Jesu Vater ist. Diese Ehrung Jesu durch seinen Vater, Gott, waren die Zeichen und Wunder, die Jesus in der Kraft Gottes wirkte, und die auch den Juden bekannt waren.

Nachdem Jesus nun deutlich Gott als seinen Vater bezeichnet und auch logisch dargelegt hat, dass aufgrund der ihm von Gott zukommenden Ehre, sein Anspruch, Gott zum Vater zu haben, berechtigt und korrekt ist, kommt Jesus nun seinerseits erneut auf Abraham zu sprechen, von dem die Juden gerade zuvor gesprochen hatten.

Johannes 8,56
Abraham, euer Vater, wurde froh, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich.

Jesus erwähnt eine auch in der Schrift berichtete Begebenheit aus Abrahams Leben, und zeigt auf, weshalb sich Abraham damals freute. In der Unterredung mit den Juden müssen wir genau lesen und darauf achten, was Jesus sagte. Jesus redete davon, dass Abraham seinen [Jesu] Tag "gesehen habe" … also Abraham etwas ihm Zukünftiges in irgendeiner Form gezeigt bzw. offenbart worden war.

Jesus sprach nicht davon, dass er Abraham gesehen habe, und auch nicht davon, dass er zu Abrahams Lebzeiten, ca. 2000 Jahre vor der Zeit, da er nun mit den Juden redete, bereits gelebt habe. Interessanterweise ist aber das genau, was heutzutage von Anhängern der Trinitätslehre dann aus Jesu Worten in Vers 58 gefolgert und in seine Aussage hineininterpretiert wird. Heutige Trinitarier und Anhänger dieser Lehre sind aber nicht die ersten, die Jesus auf diese Weise missverstanden. Auch die Juden damals schienen nicht genau zugehört zu haben.

Johannes 8,57
Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen?

Die Juden verweisen auf Jesu Alter von weniger als 50 Jahren (wobei sie ihm übrigens noch ca. 20 Jahre "gut schrieben") und verweisen dann auf die absolute Unmöglichkeit, dass Jesus daher Abraham gesehen haben konnte. Recht haben sie - Jesus hatte Abraham auch nicht gesehen! Allerdings hatte er solches auch überhaupt nicht behauptet!

Die Juden reden davon, dass Jesus Abraham gesehen (bzw. nicht gesehen!) habe; Jesus dagegen hatte davon geredet, dass Abraham seinen [Jesu] Tag gesehen habe … etwas völlig anderes! Viele machen hier den gleichen Fehler wie die Juden und folgern aus dem einen einfach das andere, als sei dies axiomatisch. Das ist es aber nicht. Abraham hatte nicht die Person Jesus gesehen, er hatte Jesu Tag gesehen, und das zu einem Zeitpunkt, da sein Sohn Isaak noch nicht einmal empfangen und geboren war, aus dessen Linie ja später der Messias Jesus hervorging. Abraham hatte aufgrund dessen, was Gott ihm zeigte und mitteilte, Jesu Tag gesehen und sich gefreut, in der Gewißheit darüber, dass Gott tatsächlich ihm und seiner Frau Sara diesen verheißenen Sohn schenken würde.

Um es noch einmal betont zu wiederholen, bevor wir dann diese bedeutsame Aussage Jesu lesen: Jesus hatte nichts davon gesagt, dass er bereits zu Abrahams Lebzeiten oder gar davor am Leben war und Abraham gesehen hätte. Vielmehr hatte er auf einen Bericht in 1. Mose Bezug genommen und aufgezeigt, dass bereits Abraham, den die Juden ja als ihren Vater ansahen, die Zeit des Kommens des Messias Jesus gesehen hatte, wohingegen nun aber die, die sich auf Abraham als ihren Vater beriefen, weigerten, das anzuerkennen, was Abraham prophetisch im voraus gesehen und worüber er sich gefreut hatte.

Dann folgen die Worte Jesu, um die es in dieser Studie hauptsächlich geht.

Johannes 8,58
Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich.

Es ist zu erkennen, dass Jesu Worte offensichtlich aus seiner Sicht von großem Gewicht waren, denn er leitet seine Aussage mit dem zweimaligen "wahrlich, wahrlich" ein.

Viele Verfechter der Trinitätslehre lesen diesen Vers vom Kontext losgelöst und berufen sich hier im Wesentlichen auf zwei Argumente, die angeblich beweisen, dass Jesus Gott sein muss. Zum einen nehmen sie die Worte "ehe Abraham wurde" und behaupten dann darauf aufbauend, dass Jesus bereits vor Abrahams Zeit und somit auch lange vor seiner eigenen Geburt als ein lebendiges Wesen existiert habe. Außerdem behaupten sie, Jesus habe hier den Gottesnamen "Ich bin" (aus 2. Mose 3,142Mo 3,14
Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.
) für sich in Anspruch genommen und damit sich selbst als Gott identifiziert. Es wird dann gefolgert, Jesu Präexistenz als Gott sei hiermit eindeutig bezeugt und bestätigt. Da er bereits "vor Abraham" ist, so sagen sie, müsse er Gott sein.

Weiterhin wird dann gerne die Aussage des Evangelisten über die Reaktion der Juden im nächsten Vers mit herangezogen als zusätzlicher Beweis, dass Jesus sich hier offen als Gott zu erkennen gegeben habe.

Johannes 8,59
Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus.

Die Trinitarier behaupten, die Juden hoben Steine auf und wollten Jesus steinigen, weil er behauptet habe, Gott zu sein. Diese Wahrheit hätten die Juden nicht mehr ertragen können, daher wollten sie Jesus umbringen. Merkwürdigerweise gehen die Anhänger der Trinitätslehre hierbei davon aus, dass die Juden einerseits richtig verstanden hätten, dass Jesus sich als Gott bezeichnet hatte, andererseits natürlich sie ihn deswegen eigentlich nicht hätten steinigen sollen, dann aber anscheinend aufgrund irgend welcher anderer Beweggründe doch "hätten steinigen müssen". Alles sehr konfus, und wahrlich nicht in Harmonie mit dem Kontext der Aussage Jesu, den wir hier ein wenig ausführlicher mit einbezogen haben. Übrigens, warum sollten die Juden hier mit der angeblichen Vermutung, Jesus habe behauptet Gott zu sein, richtig gelegen haben, wenn sie gerade davor doch völlig missverstanden hatten, was Jesus bzgl. Abraham gesagt hatte? Da hatten sie ja den Sachverhalt völlig verdreht, und hier nun sollen sie richtig liegen?

"Ehe Abraham wurde …"

Wie oben bereits kurz angedeutet, leitete Jesus seine Aussage sehr betont mit einem "wahrlich, wahrlich" ein. Seine Aussage ist demnach von großer Bedeutung, um die Wahrheit zu bestätigen, um die es hier in dieser Auseinandersetzung mit den Juden geht. Nur, was ist diese Wahrheit? Geht es hier um eine Präexistenz Jesu als Gott? Geben Jesu Worte vielleicht Aufschluss darüber, in welcher Form, falls dies überhaupt möglich ist, von einer Präexistenz Jesu geredet werden kann? Oder geht es um etwas anderes?

Es geht in diesem Abschnitt immer wieder um Abraham, und was Abraham als Vater der Juden gesehen und getan hatte. Abraham und seine Beziehung zu Jesus bzw. zu "Jesu Tag" war Bestandteil der Unterredung, und Jesus hatte erwähnt, dass Abraham bereits "meinen [Jesu] Tag" gesehen hatte und sich angesichts dessen freute. In 1. Mose wird diese Freude Abrahams erwähnt.

1. Mose 17,15-17
15 Und Gott sprach abermals zu Abraham: Du sollst Sarai, deine Frau, nicht mehr Sarai nennen, sondern Sara soll ihr Name sein.
16 Denn ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben; ich will sie segnen, und Völker sollen aus ihr werden und Könige über viele Völker.
17 Da fiel Abraham auf sein Angesicht und lachte [freute sich] und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?

Als Abraham seinerzeit die Verheißung von Gott empfing, dass ihm seine Frau Sara trotz ihres und seines hohen Alters den Sohn gebären würde, aus dem schließlich "der" Sohn Abrahams hervorgehen sollte, da freute sich Abraham, da "lachte" er. Und Abraham wurde, im Gegensatz zu Sara später, die aus Zweifeln über die Ankündigung der Boten "lachte", nicht für sein Lachen zurechtgewiesen, denn er freute sich offensichtlich im Glauben und Vertrauen auf Gottes Verheißung.

Abraham "sah" in der Ankündigung Gottes und dem, was Gott ihm bzgl. des verheißenen Sohnes Abrahams offenbarte, "den Tag Jesu" ... den Tag des Messias Jesus. Er erkannte, dass letztlich aus der Linie dieses Sohnes der Verheißung der verheißene Nachkomme des Weibes, der Messias kommen würde, und dass dieser eben damit in besonderer Weise "der Sohn Abrahams" sein würde.

Nur, war dieser Sohn Abrahams bereits am Leben, als Abraham diesen Tag "sah" und sich "freute"? Es war noch nicht einmal Isaak am Leben - der Sohn, von dem die Verheißung direkt handelte und von dem dann später der Messias kommen sollte. Nein, als Person, als ein lebendiges Wesen, existierte Jesus, DER Sohn Abrahams, damals noch nicht. Allerdings vermittelt uns die Tatsache, dass Gott zu jenem Zeitpunkt Abraham durch den Engel des HERRN diese wunderbare Verheißung eines Sohnes gab, aus dessen Linie dann der Erlöser, der Sohn Abrahams, hervorgehen würde, eine wichtige Wahrheit: Dieser Sohn Abrahams "existierte" bereits damals in Gottes Vorsehung, er war schon zu jener Zeit Teil von Gottes Plan und Vorhaben zur Erlösung des Menschen.

Dass der Erlöser, der verheißene Messias, in Gottes Vorsehung Bestandteil von Gottes Plan war, wird auch aus anderen Schriftstellen deutlich. Diese Stellen vermitteln uns weiterhin, dass dieser Sohn Abrahams Gott nicht erst zu Abrahams Zeiten "einfiel", sondern sogar schon lange zuvor Teil von Gottes Vorsehung war.

1. Petrus 1,20
Er [Jesus] ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen,

Hier nun wird uns mitgeteilt, dass Jesus bereits "ehe der Welt Grund gelegt wurde" von Gott ausersehen worden war, also mithin bereits lange vor Abraham in Gottes Vorsehung, in Gottes Plan existierte. Diese Stelle zeigt uns zudem auf, WIE Jesus bereits "ehe Abraham wurde" existierte: Als Teil von Gottes Vorsehung, als Teil von Gottes Plan, als "Wort [λόγος]", welches schließlich am Ende der Zeiten, "als die Zeit erfüllt war" (vgl. Galater 4,4Gal 4,4
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
), offenbart ist, d.h. der Mensch, von dem dieses Wort berichtete und zeugte, wurde in Maria gezeugt und dann von ihr geboren. Was von Anfang an und bis dahin "Wort [λόγος]" gewesen war, "wurde Fleisch" - der verheißene "Nachkomme des Weibes" (vgl. 1. Mose 3:151Mo 3,15
Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen
) kam auf die Welt.

Johannes 1,1.14
1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Das Johannesevangelium berichtet uns zu Beginn, was es mit Jesus als dem Sohn Gottes auf sich hat. Am Anfang existierte Jesus nicht als Person und auch nicht als göttliches Geistwesen oder Teil des allmächtigen Gottes, sondern er existierte als "Wort [λόγος]", wie Vers 1 nun wirklich unmissverständlich darlegt. Das griechische Wort λόγος [logos] bedeutet "Wort, Rede, Kunde, Gedanke, Vorhaben, Plan, Ideeλόγος, ου m Wort; Rede (πολὺς ἡμῖν ὁ λόγος wir hätten viel zu sagen (Hebr 5,11); Aussage, Bericht, Kunde, Nachricht, Erzählung, Geschichte; Frage (nach ἐρωτάω); Rechenschaft (Hebr 4,13); Gegenstand, Sache, Anlaß (zur Klage Apg 19,38); (κατὰ λόγον ordnungsgemäß, pflichtgemäß); Schrift, Buch (Apg 1,1)
Kassühlke, R., & Newman, B. M. (1997). Kleines Wörterbuch zum Neuen Testament: Griechisch-Deutsch (p. 114). Deutsche Bibelgesellschaft.
. Vers 1 betont, dass dieses Wort, von dem wir hier lesen, nicht "Menschenwort", sondern "Gottwort" ist. Gott hat es sich ausersehen, es stammt von Ihm, Er hat all das ersonnen und geplant. In Vers 14 wird dann in den Worten "und das Wort ward Fleisch" ausgedrückt, was in 1. Petrus 1,20 als "offenbart am Ende der Zeiten" bezeichnet wird.

Aus diesen Aussagen der Schrift können wir ersehen und verstehen, dass Jesus bereits vor Abraham ist, nämlich in Gottes Vorsehung als Teil von Gottes Plan, den Gott auch Abraham seinerzeit bereits kundtat, worüber sich Abraham freute, als er erkannte und "sah", worauf Gottes Verheißung eines Sohnes eigentlich hinzielte. Keineswegs aber belegt diese Aussage Jesu, dass er hier von einer Präexistenz als lebendiges Wesen, als Person, gesprochen habe - im Gegenteil: Die Anmerkungen der Juden, dass es ganz unmöglich sei, dass er in einem Alter von nicht einmal 50 Jahren Abraham gesehen habe, treffen absolut zu und sind in der Tat wahr. Jesus hat nicht behauptet, er habe Abraham gesehen! Er hatte davon gesprochen, dass Abraham ihn (genauer: "meinen Tag") gesehen hatte.

Eine ganz andere, vielleicht aber auch mögliche Auslegung des Ausdrucks "ehe Abraham war" will ich auch noch anführen und kurz erläutern. Man könnte unter Umständen das Wort "ehe" nicht nur zeitlich verstehen, sondern als Vergleich in Bezug auf Wertigkeit, Bedeutung oder Rang. In diesem Falle hätte sich Jesus mit seinen Worten hier zurück bezogen auf etwas, was die Juden zuvor in einer ihrer Fragen angesprochen hatten.

Johannes 8,53
Bist du mehr als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst?

"Bist du MEHR als unser Vater Abraham …?" Ja, Jesus ist mehr als Abraham, er kommt "vor Abraham", ist in dieser Weise "ehe Abraham wurde".

Ich selbst tendiere eher zu dem ersten Verständnis der Bezugnahme auf die Vorsehung Gottes, und dass Jesus bereits Teil von Gottes Plan ist, ehe Abraham wurde. Ein wesentlicher Aspekt für eine Bevorzugung dieses Verständnisses ist die Tatsache, dass das griechische Wort für "ehe" [πρὶν] eigentlich nur im zeitlichen Sinne benutzt wird. Möglicherweise sind diese beiden Wahrheiten auch "gekoppelt" und Bestandteil dessen, wovon Jesus sprach.

"bin ich" bzw. "Ich bin"?

Das zweite Argument von Verfechtern der Trinitätslehre aus diesem Vers ist verbunden mit den Worten "bin ich". In einigen Bibelübersetzungen (insbesondere in englischen Übersetzungen, weil es dort nicht unbedingt als grammatisch merkwürdig empfunden wird) werden diese Worte, angelehnt an die Wortstellung im griechischen Text mit "Ich bin" übersetzt: "Ehe Abraham wurde, Ich bin." Als Erklärung für ein solches Vorgehen dient dann der Hinweis, Jesus habe mit diesem Ausdruck "Ich bin" den aus dem Alten Testament bekannten Gottesnamen für sich beansprucht.

Nun, wie bereits die Art der Übersetzung in unseren deutschen Bibeln aufzeigt, hielt wohl keine der Übersetzungen diese Wörter für den Gottesnamen "Ich bin", denn alle verstehen Jesu Worte nicht als Eigennamen, sondern ganz normal als die zwei Wörter "bin" und "ich". Diese zwei Wörter als den Gottesnamen "Ich bin" zu verstehen, führt zu einem äußerst merkwürdigen und gekünstelten, noch dazu eigentlich falschen grammatikalischen Satzbau, wenn man weiterhin versucht, die Wörter nicht nur als Gottesnamen, sondern auch irgendwie auf Jesus bezogen zu verstehen.

Wenn man davon ausgeht, dass "Ich bin" der Name Gottes ist, dann könnte man in diesem Satz zum leichteren Verständnis des Sinnes dieser Aussage einfach das "Ich bin" mit "Gott" ersetzen, und man hätte dann:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde [war] Gott [Ich bin]."

Nun, das wäre selbstverständlich eine absolut wahre Aussage: Ja, Gott war garantiert lange vor Abraham! Allerdings würde dann Jesus nun nicht mehr von sich selbst reden, sondern von dem Alttestamentlichen Gott ("Ich bin"). Der Vers hätte nichts mit Jesus zu tun, sondern lediglich mit Gott und Abraham. Das ist jedoch vom Zusammenhang her sehr unwahrscheinlich und wäre ein Gedankenbruch.

Zusätzlich sei noch eine andere wichtige Einzelheit diesbezüglich angemerkt. Der Begriff "Ich bin" wird von Trinitariern aus 2. Mose 3,14 hergeleitet, wo Gott dem Mose seinen Namen offenbarte.

2. Mose 3,14
Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.

Auch hier weist uns die deutsche Übersetzung bereits darauf hin, dass mit einer solchen Annahme etwas nicht ganz korrekt zu sein scheint. Der eigentliche Name, den der HERR hier dem Mose mitteilt, ist nicht "Ich werde sein, der ich sein werde", und auch nicht "Ich bin". Ein Vergleich des griechischen Textes der Septuaginta für 2. Mose 3,14 mit dem griechischen Text in Johannes 8,58 bringt ans Licht, dass nicht einmal die gleichen Worte benutzt werden: In 2. Mose 3,14 steht: "Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν [übersetzt: Ἐγώ [ich] εἰμι [bin] ὁ [der] ὤν [Seiende]". Wir erkennen, dass die Wörter "Ich bin" in der Aussage Gottes auch hier einfach die Wörter "ich" und "bin" sind, und dann erst die Wörter "der Seiende" [»Ich werde sein«] Sein Name sind. Der eigentliche Name Gottes aus 2. Mose 3,14 ist also im Griechischen Ὁ ὢν [Ho wn] und nicht Ἐγώ εἰμι [Egw eimi]. In Johannes 8,58 dagegen kommt ho wn gar nicht vor, sondern lediglich die Wörter egw eimi. Hieraus wird deutlich, dass Jesus in dieser Auseinandersetzung mit den Juden den Gottesnamen gar nicht erwähnte und absolut nicht behauptete, der allmächtige Gott zu sein.

Zusammenfassung

Wenn man die vorgefassten Meinungen bzgl. einer göttlichen Präexistenz Jesu beiseite legt und sich nicht von den in späteren Jahrhunderten fixierten Theologien und Lehren beeinflussen lässt, kann man diese Stelle in Johannes 8,58 unvoreingenommen lesen und relativ leicht erkennen, dass Jesus sich unmöglich hier als Gott betrachtet und bezeichnet haben kann. Eine solche Tat stände in völligem Widerspruch zu einer Vielzahl von Schriftstellen, die uns davon berichten, dass Jesus sich nicht selbst als den allmächtigen Gott verstand, sondern allein und einzig seinen Vater als den allein wahren und allmächtigen Gott ansah.

Jesus verstand aus der Schrift, wer er war, und er machte dies auch hier deutlich, als er von sich als dem Sohn Abrahams redete, dessen Tag Abraham bereits gesehen hatte und über den sich Abraham gefreut hatte - ganz im Gegensatz zu denen, die sich zwar als "Kinder Abrahams" bezeichneten, aber keineswegs die ihnen eigentlich dann gebührenden Werke taten, sondern stattdessen sich dazu hinreißen ließen, ihn steinigen zu wollen.

 

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