Um zu einem rechten Verständnis der biblischen Aussage über das Kommen des Herrn am Ende des Äons zu gelangen, ist es wichtig, zwei wesentliche Aspekte eines damit eng verbundenes anderen Themas korrekt zu verstehen. Dabei geht es um das Thema "Reich Gottes / Himmelreich" und die Frage danach, (a) was bzw. welcher Art dieses Reich Gottes ist, und (b) wann dieses Reich Gottes kommen soll.

In vielen christlichen Kreisen, und dort wohl besonders in evangelikalen Gemeinden, steht die Predigt vom kommenden Reich Gottes im Vordergrund dessen, was als frohe Botschaft verkündet wird. In fast jeder Predigt kommt das zukünftige Reich Gottes vor, und die Gläubigen werden laufend ermutigt, für dieses kommende Reich Gottes bereit zu sein. Für die Prediger liegt das Reich Gottes noch in der Zukunft, und es handelt sich um ein physisches, politisches Reich auf Erden, sich von Israel und Jerusalem ausgehend über den ganzen Erdball erstreckend mit Jesus als politischem König, unter dessen Herrschaft und unter Mitwirkung der Heiligen dann endlich nach Zerschlagung der Feinde Gottes und des Teufels Frieden sein wird, zumindest für 1000 Jahre, auf welche dann eine Ewigkeit in einem irdischen Art Schlaraffenland oder Paradies für die Gläubigen folgen wird. Das ist eine wahrlich fantastisch großartige Vorstellung ... sie hat nur nichts mit dem zu tun, was die biblischen Berichte uns über das Reich Gottes berichten.

Eine Betrachtung biblischer Aussagen zu "Reich Gottes" zeigt sehr schnell auf, dass es bei diesem Begriff nicht um ein irdisches physisches oder politisches Reich geht sondern um eine Herrschaft anderer Art. Außerdem wird aus den biblischen Berichten ebenso schnell klar, dass diese Herrschaft bereits mit Jesu Kommen vor fast 2000 Jahren Realität wurde.

Reich oder Herrschaft?

Zunächst gilt es zu beachten, dass der Begriff "Reich" lediglich eine Möglichkeit einer Übersetzung des in den griechischen Handschriften benutzten Wortes βασιλεία [basileia] ist. Der Kontext einer Stelle bestimmt jeweils, welche der möglichen Übersetzungen korrekt bzw. besser ist. Das Wort βασιλεία bedeutet "Herrschaft; Königtum". Luther übersetzte das Wort "Reich". Es scheint, als habe sich durch Luthers Übersetzung der Begriff "Reich" in deutschen Übersetzungen der Bibel durchgesetzt.

Leider ist im Deutschen der Begriff "Reich" in Verbindung mit der Herrschaft eines Königs in seiner Bedeutung beschränkt auf ein Land, einen Staat, dessen Staatsform eine Monarchie ist. Wenn Leute das Wort "Reich" hören oder lesen, denken sie zumeist sofort an ein politisches Reich, wie z.B. eine Monarchie mit einer bestimmten Landesgröße, Grenzen, usw. und einem König bzw. einer Königin als Oberhaupt und Herrscher (vgl. etwa heutige Monarchien, Königreich Norwegen, Königreich Niederlande, etc.). Als ein "Reich" werden auch Staaten bezeichnet, die vielleicht keinen "König" als Oberhaupt haben, aber einen anderen mehr oder minder absoluten Herrscher (vgl. Kaiserreich, Reich unter einem Diktator, etc).

Daneben kennt man im Deutschen auch "Reich" als Begriff für einen bestimmten Bereich, der durch eine bestimmte Sache charakterisiert wird (vgl. Tierreich, Pflanzenreich).

Der biblische Gebrauch des Wortes βασιλεία ist eigentlich mehr in der Bedeutung von Herrschaft und bezeichnet die Handlung oder den Zustand des Herrschens, und eigentlich nie ein "Reich" in dem uns bekannten heutigen Sinne. Ein Blick auf einige der Aussagen in den NT Schriften macht dies schnell deutlich. Es geht um "Gottes Herrschaft", im Matthäusevangelium auch als "Herrschaft der Himmel" bezeichnet.

Gottes Herrschaft - welcher Art?

Es folgen einige biblische Stellen, die in ihrem jeweiligen Kontext Auskunft geben, was bzw. welcher Art die Herrschaft Gottes ist.

Matthäus 5,3.10
3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Jesu Worte aus der sogenannten Bergpredigt handeln offensichtlich nicht von einem irdischen Königreich, in welchem Gläubige mit den genannten Gesinnungen Teil haben würden.

Matthäus 6,33
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

Auch hier geht es nicht um ein irdisches politisches Königreich Gottes in ferner Zukunft, sondern um Einstellung und Gesinnung nach etwas, wonach die Hörer damals bereits trachten konnten und sollten.

Matthäus 11,12
Aber von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich.

Bestand etwa zu Jesu Zeit damals seit dem Auftreten des Johannes bereits ein politisches irdisches Reich Gottes, welchem einige Feinde Gewalt antaten, um es an sich zu reißen? Das war offensichtlich nicht der Fall.

Lukas 17,20.21
20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Johannes 18,36
Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier.

Gottes Herrschaft, Gottes Reich und Jesu Herrschaft in diesem Reich ist KEINE irdische politische Herrschaft, kein physisches Reich, welches sichtbar wäre. Jesus bezeugt, seine Herrschaft sei nicht irdischen Charakters wie die Herrschaft und Reiche der Könige auf Erden. Ja, er erwähnt sogar in seinen Worten zu den Pharisäern, dass diese Herrschaft bereits mitten unter ihnen gegenwärtig war - nämlich in der Person des Herrn Jesus und dessen Worten und Werken.

Gottes Herrschaft - wann Realität?

Die Antwort Jesu in Lukas 17,20-21 mit seinem Hinweis, die Herrschaft Gottes "ist mitten unter euch" erfolgte auf die Frage der Pharisäer nach dem "wann" dieser Herrschaft Gottes. Offenbar war die Herrschaft Gottes bereits damals in einer gewissen Hinsicht gegenwärtig.

Matthäus 3,1-2
1 Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste von Judäa
2 und sprach: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Als Johannes der Täufer auftrat, verkündete er bereits, dass die Herrschaft Gottes nahe herbeigekommen war. Auch Jesus erwähnte dies mehrfach in seinen Reden und Predigten

Markus 1,15
und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!

Matthäus 4,17
Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Verkündeten Johannes der Täufer und Jesus die Wahrheit, als sie predigten, dass die Herrschaft der Himmel, die Herrschaft Gottes, damals nahe herbeigekommen war? Oder irrten diese beiden, als sie das behaupteten? In dem Falle wären sie falsche Propheten!

Während des öffentlichen Wirkens Jesu war Gottes Herrschaft zu einem gewisse Grade bereits gegenwärtig, in einem umfassenderen Sinne noch nahe und nicht vollständig realisiert worden, da der Messias Jesus sein Werk und seine Mission noch nicht vollendet hatte. Seine Mission war dann endgültig vollendet, als dann das AT Zeitalter (die damalige jüdische Welt) mit dem Gericht über das apostate Israel und Jerusalem endgültig mit der Zerstörung des Tempels zu Ende war und das Heil für die Gläubigen im NT Zeitalter vollendet war.

Jesus machte in einigen Aussagen deutlich, dass diese vollständige Realisation der Herrschaft Gottes zusammenfiel mit seinem Kommen am Ende des AT Zeitalters, und dass sich das zutrug, während einige seiner Zuhörer noch am Leben waren.

Matthäus 16,28
Wahrlich, ich sage euch: Es sind etliche unter denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschensohn kommen sehen in seinem Reich.

Lukas 9,27
Ich sage euch aber wahrlich: Einige von denen, die hier stehen, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes sehen.

Man erkennt leicht, wie Jesus verkündet, dass er als der Menschensohn in seinem Reich (seiner Herrschaft) kommen wird, noch während einige seiner Zuhörer am Leben sein werden. An anderer Stelle spricht Jesus davon, dass dies und die vollständige Realisation der Herrschaft Gottes noch in der Zeitspanne einer - dieser, der damaligen - Generation sein würde.

Die damaligen Juden erwarteten ein irdisches politisches Reich Gottes, mit einem politischen König in Jerusalem ... sie hatten offensichtlich eine falsche Hoffnung, weil sie irdisch gesinnt waren und nicht verstanden, dass das AT Königreich Israel mit David als politischem König nur ein irdischer "Schatten" und Typus der letztlich von Gott geplanten späteren geistlichen Realität der geistlichen Herrschaft Gottes im Leben der an den Messias Gläubigen in seiner himmlischen Gemeinde war.

Leider sind heute die bei weitem meisten Christen der gleichen Meinung wie die Juden damals und verkünden mit Inbrunst und großem Engagement ein zukünftiges Kommen Jesu auf Erden, um in Jerusalem als politischer König die irdische Herrschaft nicht nur über einen Staat Israel sondern letztlich die ganze Welt zu übernehmen. Die Juden damals erlagen einem Irrtum, diese Christen heute erliegen eigentlich dem gleichen Irrtum bzgl. eines irdischen Weltreiches.

 

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